Mittwoch, 28. September 2011

Mein Abschlussbericht - Rückblick und Vorschau



Nun sind schon fast zwei Monate vergangen, seit ich mich von meinem geliebten Peru verabschieden musste und mit sehr schwerem Herzen in das Flugzeug nach Deutschland gestiegen bin.
Es ist Zeit für einen letzten Blogeintrag.

"Und, wie wars?" - das ist die häufigste Frage, die ich gerade bei Wiedersehen mit Freunden zu beantworten versuche.
Und jedesmal bin ich wieder aufs Neue überfordert mit der Antwort.
Denn wenn ich "schön" oder "toll" entgegne, dann stimmt das zwar, wird aber den 365 Tagen voller Erfahrungen einfach nicht gerecht.
Man kann ein Auslandsjahr nicht mit einem Wort beschreiben.

Für mich war das Jahr eindrücklich in allen Facetten.
Leben in einer so fremden Kultur ist wahnsinnig interessant und spannend.
Manchmal kann man sich mit fremden Traditionen identifizieren. Und manchmal überhaupt nicht. Aber bei der Begegnung mit anderen Menschen kann Offenheit Brücken schlagen.
Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen wohl immer das Lachen ist.
Der direkte Kontakt mit extremer Armut lässt mich die Welt und das eigene Leben mit anderen Augen sehen. Oft kam ich mir sehr klein vor in einem riesigen Geflecht aus Problemen und auf der anderen Seite ist es einfach eine sehr schöne Erfahrung, zumindest eine minimale Hilfe leisten zu können.
Ich habe mein eigenes Leben viel mehr zu schätzen gelernt und sehe es als großes Glück an, auf diesem Teil der Erde geboren zu sein.
Und ich bin selbstständiger geworden und habe gelernt, mir zu vertrauen.
Die erste Busfahrt zur Arbeit und das erfolgreiche Handeln auf dem Markt waren kleine Erfolgsmomente im Alltag.
Und ich habe die wunderschöne Erfahrung gemacht, dass man sich überall auf der Welt zuhause fühlen kann, wenn man Freunde findet.

Es gab Hoch-und Tiefpunkte. Aber die Hochpunkte haben immer überwogen.

Noch immer begleitet mich Peru fast täglich.
Ich drehe lautstark Salsa-Musik auf und bringe meiner Mutter erste Tanzschritte bei, ich zeige Freunden und Familie meine Fotos und backe Picarones und mache Chicha Morada.

Am Samstag war ein großes Schulfest meines ehemaligen Gymnasiums, dem Robert-Bosch Gymnasium in Langenau.
Als Partnerschule von La Mansión und Spender für "Pueblo sin hambre", hat meine Schule einen direkten Bezug zu meinem Freiwilligendienst.
Deshalb haben Sarah und ich in einem Klassenzimmer eine Peru-Austellung organisiert.
Wir haben Fotos gezeigt und Info-Plakate gestaltet. Und ich habe die Zeichnungen und Briefe, die meine Schüler am "día alemán" für die deutschen Schüler malten, ausgestellt.
Dazu legten wir schöne peruanische Saya und Zampoña-Musik auf und ich fühlte mich fast ein bisschen wie in Arequipa.
Es war für mich sehr berührend, mit Lehrern, Schülern und Eltern über meine Erfahrungen zu sprechen und meine Begeisterung für Peru teilen zu können.

Für viele Freiwillige ist ihr Dienst nach einem Jahr beendet.
Wenn ich daran denke, wie viel Zeit es gebraucht hat, bis die Mütter endlich Vertrauen zu uns gefunden und wie sich die Kinder an mich gewöhnt haben, dann macht mich das sehr nachdenklich.
Der Abschied ist also nicht nur für mich sehr plötzlich und schmerzhaft, sondern kann auch für die Menschen vor Ort eine große Veränderung bedeuten.
Deshalb ist es mir unglaublich wichtig, ihnen zu zeigen, dass ich sie nicht vergesse und noch immer sehr viel an sie denke.
Ich will auf jeden Fall regelmäßig Briefe an den Comedor nach La Mansión schicken und so den Kontakt zu den Menschen halten.
Außerdem bin ich weiterhin Mitglied meiner Entsendeorganisation
"Claim for Dignity e.v". Und eines Tages kehre ich zurück. Das ist sowieso klar! :)

Peru hat mich geprägt, verändert und bereichert.
Peru ist ganz fest verankert in meinem Herzen und ein Teil von mir geworden.

Und Lateinamerika wird mich nicht nur im Herzen, sondern sogar im Alltag weiterhin begleiten. Während des Auslandsjahres habe ich gemerkt, dass ich mein Wissen über diesen Erdteil und meine Begeisterung für die spanische Sprache noch vertiefen möchte.
Ab Oktober werde ich Lateinamerikanistik und spanische Philologie in Berlin studieren.

Noch einmal möchte ich mich bei allen bedanken, die mich während diesem Jahr unterstützt und begleitet haben.
Danke an Claim for Dignity und den BDKJ für die tolle Vorbereitung und die Unterstützung während dem Jahr.
Danke an alle Spender für die finanzielle Unterstützung.
Danke an alle Freunde in Deutschland, die mir gezeigt haben, dass auch keine tausende von Kilometern unserer Freundschaft etwas anhaben können.
Danke Mama, dass du wirklich in allen Lebenslagen für mich da bist.
Danke an alle Menschen, die ich in Peru kennengelernt habe: Danke für die neuen Freundschaften, für die vielen lustigen Stunden, für die guten Gespräche, für viele gemeinsame Fiestas und gemeinsame Reisen.

Danke an Carolin und Sabrina, die nun unsere Arbeit in Arequipa fortsetzen.
Wer auch über ihren Freiwilligendienst informiert sein möchte, hier ihre Blogadressen:
http://www.carolin-in-peru.blogspot.com/
http://www.sabrina-in-peru.blogspot.com/

Somit endet nun mein Blog und ein neuer Abschnitt in meinem Leben beginnt.
Muchos saludos y un abrazo a todos!
Hasta luego! :)

Samstag, 6. August 2011

Zurück in Deutschland...



Nach einem sehr chaotischen und aufgrund kurzer Umsteigezeiten auch stressigen Rückflug von Arequipa über Lima nach Amsterdam und dann nach Stuttgart, bin ich seit Mittwochabend wieder in Deutschland.

Das Wiedersehen mit meiner Familie und meinen Freunden war unbeschreiblich schön.
Sie haben sich solche Mühe gegeben, mir einen tollen Empfang zu bereiten - Willkommensplakate und Blumensträuße inklusive.
Seitdem genieße ich wieder Brezeln zum Frühstück, einen immer vollen Kühlschrank und eine warme Dusche. Mein kleiner Bruder ist auf einmal unglaublich groß geworden und alle haben wir uns sehr viel zu erzählen.
Es ist schön, wieder nach Hause zu kommen.

Doch Zuhause - was ist das denn jetzt genau für mich?
Ich bin sozusagen von dem einen Zuhause herausgerissen und in das andere Zuhause hineingeschmissen worden. Einfach so. Von einem Tag auf den anderen.
..und so fühle ich mich gerade manchmal ein bisschen wie eine Touristin in meinem eigenen Land.
Ich bestaune die grüne Landschaft und die sauberen Autos, die großen Häuser und die geraden Straßen. Mir fällt auf, dass es hier ganz anders riecht:
Nach feuchtem Gras und nach Blumen anstatt nach Staub und Benzin.
Die Menschen sind alle wahnsinnig modisch gekleidet und es ist so ruhig.
Es ist wirklich auffallend ruhig. Auch an Plätzen mit vielen Menschen.
Ach, mir fehlt meine Salsa-Musik!!

Auch ist es seltsam wieder so viel blonde Menschen zu sehen und deutsch zu reden.
Ich sage "Gracias" und "Permiso" anstatt "Danke" und "Verzeihung".
Als wir essen gehen bestelle ich ohne zu überlegen einen Maracujasaft und vergesse mich bei der Heimfahrt im Auto anzuschnallen.

Ich bin eideutig nicht mehr in Peru...aber irgendwie bin ich auch noch nicht wirklich in Deutschland angekommen.

Adiós Perú - Auf Immerwiedersehen!

Wie soll ich nur das Gefühl erklären, dass einen überkommt, wenn man seine Wohnung, in der man fast 365 Tage gewohnt hat, auf einmal ausräumen und verlassen muss?
Wenn man all das, was sich in einem Jahr so angesammelt hat, in einen großen Rucksack packen soll?
Oder noch viel schlimmer: Wenn man sich von Freunden auf ungewisse Zeit verabschieden soll, die einen ein ganzes Jahr lang begleitet haben und die einem sehr ans Herz gewachsen sind?
Es ist einfach unrealistisch. Es ist unrealistisch und es bereitet einem ein sehr laues Gefühl im Bauch.

Die letzten Tage in Peru verbrachte ich mit Rucksack packen, Souvenirs einkaufen, Wohnung ausräumen und vielen vielen Abschieden.
Neben dem Abschied von meiner Arbeitsstelle standen schließlich auch noch viele Abschiede von Freunden an.
Am letzten Samstag vor unserem Rückflug wurde für mich eine große Abschiedsparty in meiner Lieblinsdisco veranstaltet.
Dort tanzten wir die Nacht durch und versprachen uns, uns wiederzusehen.
Zur Erinnerung bekam ich eine große Peruflagge, auf der all meine Freunde unterschrieben haben, und ein Fotoalbum mit vielen Erinnerungsfotos geschenkt.
Es war sehr bewegend und hat mir fast das Herz gebrochen.

Peru ist für mich in diesem Jahr zu meiner zweiten Heimat geworden, der ich vieles verdanke. In diesem Jahr habe ich ein großes Stück Lebenserfahrung gewonnen, ich habe in Peru sehr viel gelacht und getanzt, habe aber auch geweint und habe meine Grenzen kennengelernt.
Ich habe Einblick bekommen in eine völlig fremde Kultur, die ich schätzen und lieben gelernt habe.

GRACIAS an alle, die mich in diesem Jahr begleitet haben und die es zu dem gemacht haben, was es ist: Eine unvergessliche Zeit!

El tiempo pasa - pero los recuerdos se quedan para siempre.
Die Zeit vergeht - doch die Erinnerungen bleiben für immer.

Abschied vom Comedor

Ich wusste, dass der Abschied vom Comedor, von all meinen Kindern und den Müttern schwierig werden wird. Und doch hätte ich nicht damit gerechnet, dass so viele Tränen fließen werden.
Ich habe mich ein bisschen wie ein Mutter gefühlt, die ihrem Baby "Tschüss" sagen muss.

Die Mütter haben zur Feier des Tages eines unserer Lieblingsessen, "Papa a la Huancaina", gekocht und nach dem Mittagessen haben wir uns alle im Kreis versammelt.
Sarah und ich haben den Kindern erklärt, dass es nach einem Jahr nun Zeit für unseren Abschied ist, da wir zurück in unsere Heimat müssen um zu studieren.
Wir bedankten uns für die tolle Zeit mit allen und sagten, dass wir sehr stolz darauf sind, so viele neue kleine Freunde gefunden zu haben.
Dann ermahnten wir sie, dass sie sich auch ohne uns weiterhin gut verhalten und brav sein sollen.
Und anschließend stellten wir ihnen die neuen Freiwilligen vor, Carolin und Sabrina, die vor wenigen Tagen in Arequipa angekommen sind.
In diesem Moment begleitete mich ein gemischtes Gefühl aus Melancholie und Stolz.
Für uns ist nun endgültig dieses wundervolle und eindrückliche Jahr in La Mansión vorbei, doch das Projekt geht weiter.
Es ist wirklich schön zu wissen, dass die beiden Mädels das weiterführen, was wir angefangen haben und ich bin sicher, dass sie es super meistern werden!

Sarah und ich haben eine große Collage mit vielen Erinnerungsfotos als Verschönerung der grauen Wände im Comedor gebastelt.
Außerdem haben wir eine Erinnerungslilie gepflanzt, damit sich die Kinder und Mütter auch immer an uns erinnern werden.
Zum Schluss bekam jeder eine kleine Kerze geschenkt, die wir gemeinsam anzündeten.
Beim Auspusten sollte sich dann jeder etwas wünschen.
So erhellten viele kleine Kerzenlichter und viele kleine Wünsche den Comedor für ein paar Minuten. Es war wirklich schön.

Danach gab es viele Umarmungen, ich bekam verschiedene selbstgemalte Bilder der Kinder geschenkt und schüchterne, liebevolle "Gracias señorita Judith" und "Cuidate señorita Judith" ins Ohr geflüstert.

Als sich dann der ganze Tumult aufgelöst hatte und die letzten Kinder gegangen waren, haben wir uns von den Müttern verabschiedet.
Und da standen die Frauen, die uns vor einem Jahr noch total schüchtern und unsicher begrüßt hatten, vor uns und schwangen Abschiedsreden und umarmten uns.
Und sie hatten uns eine Dankeskarte geschrieben "Para alguien muy especial - Für jemanden sehr besonderes". Es war so rührend.
Doch das Geschenk, das ich am wenigsten erwartet hätte und das mich am meisten berührt hat, kam von einer der Mütter: Dominga.
Dominga war die Mutter, mit der ich mich das ganze Jahr über am besten verstanden habe. Immer wenn wir uns gesehen haben, haben wir ein paar Sätze miteinander gesprochen, ich habe ihren Kindern Englischunterricht gegeben und auf ihr Baby Deisi aufgepasst, wenn Dominga Wasser holen war.
Jedenfalls kam Domingo an diesem Tag auf mich zu und drückte mir ganz schüchtern ein winziges Geschenkchen in die Hand.

Als ich es öffnete fielen mir Ohrringe und ein kleiner Zettel entgegen:
"Señorita Judith. Ich danke dir für all die Hilfe, die du uns und unseren Kindern gegeben hast. Erhalte deshalb mit viel Liebe dieses kleine Geschenk. Vergiss uns nie. Wir werden dich immer vermissen. Tschüss, Dominga"

Ich war so gerührt, mit wie viel Liebe sich die Menschen aus La Mansión von uns verabschiedeten.
Und so wurde der Kloß im Hals immer größer und zum Schluss weinten wir alle zusammen.

Als ich dann im Combi nach Hause fuhr, zogen noch einmal alle Erinnerungen und gemeinsamen Erlebnisse vor meinem inneren Auge vorbei:
Der erste Arbeitstag, die Veränderung des Comedors durch die bunten Tische, die Verhaltensregeln, die wir gemeinsam aufstellten, die Weihnachtsfeier mit dem Puppenspiel von Sarah und mir, Elternabende mit den Müttern, das Zahnputzprojekt, ...

Ja, es war eine tolle Zeit in La Mansión. Oft war es anstrengend oder frustrierend, doch die meiste Zeit hat es mir wahnsinnig Spaß gemacht dort zu arbeiten.
Wir haben viel gemeinsam erreicht und sind gemeinsam gewachsen.
Ich freue mich sehr, dass das Projekt weiter geführt wird und habe mir fest vorgenommen eines Tages zurückzukommen.







Samstag, 2. Juli 2011

Entre dos mundos - Zwischen zwei Welten

Heute ist der 2.Juli.
Ich sehe dieses Datum vor mir und kann es kaum fassen: 11 Monate sind vergangen seit meinem Abflug in Deutschland und nun bleibt mir nur noch ein Monat in Perú.
Ein Monat sind vier Wochen und das ist sogar weniger als die Sommerferien in Deutschland!!

Und nun lebe ich zwischen zwei Welten.

Ich will hier nicht weg.
Perú ist zu meiner zweiten Heimat geworden.
Ich kenne fast alle Straßen in Arequipa, kenne die Menschen und die Kultur.
Spanisch spreche ich mittlerweile ohne vorher nachzudenken zu müssen und meine deutschen Sätze werden oft unterbewusst mit spanischen Wörtern verschönert.
Die Mischung aus der Arbeit im Armenviertel, neuen Erfahrungen, durchtanzten Nächten, eindrücklichen Reisen und neuen Freundschaften hat mich sehr geprägt.
Der Gedanke, all das hinter mir zu lassen, schmerzt so sehr.
An den Abschied von meinen Schülern und meinen Freunden darf ich gar nicht denken.

Ich bin immer noch die gleiche Judith, aber doch ist alles anders.
Ich habe mich weiterentwickelt.
Und das macht mich nachdenklich.
Deutschland scheint einfach so weit entfernt.

Wie wird es sein auf einmal wieder auf Busfahrpläne achten zu müssen, Wetternachrichten zu hören, in der Fußgängerzone an jeder Ecke einen Mülleimer aufzufinden? Doch viel schlimmer: Wie werde ich mit der deutschen Pünktlichkeit umgehen können? Mit dem ewig steifen Händeschütteln, statt einem herzlichen Küsschen zur Begrüßung? Und mit unserem ständigen Gejammer über die Probleme, die eigentlich gar keine Probleme sind?

Bei diesen Gedanken möchte ich einfach nur die Zeit anhalten und hier bleiben.
JA, hier bleiben, verdammt!

Doch wie gesagt, ich lebe zwischen zwei Welten.
Und der andere Teil von mir freut sich mittlerweile riesig auf Deutschland!
Denn nach 11 Monaten habe ich die peruanische Kultur und das Leben hier doch schon so gut kennengelernt, dass ich sagen kann: Es ist gut, mal wieder etwas deutsche Normalität in meinen Alltag zu bringen.
An erster Stelle wird es mir gut tun, Abstand zum südamerikanischen Machismus zu bekommen - einer Eigenschaft, mit der ich wirklich große Probleme habe.
Ich freue mich auf unsere Kulturangebote, vor allem auf Theater und unsere Bücherei.
Zwei Dinge, die ich hier in Perú wirklich vermisse!
Auch wird es eine besondere Erfahrung werden, wieder im deutschen Luxus leben zu können: In einem richtigen Bett zu schlafen und nicht auf einer Matratze auf dem Boden, immer heißes Wasser zu haben und einen Kühlschrank!
Ich freue mich riesig auf deutsches Essen: Käßspätzle oder Brezeln!!

Und dann kann ich es natürlich kaum erwarten, endlich meine Familie und meine Freunde wiederzusehen.

Und ob ihr es glaubt oder nicht: Ich freue mich sogar auf Studieren!
Ein Jahr ohne Lernstress hört sich wie das Paradies an. Doch nach spätestens sechs Monaten fühlt man sich intellektuell manchmal doch etwas unterfordert.

Nein, ich will noch nicht gehen.
Und doch merke ich, dass es Zeit dafür ist.
Y por eso vivo entre dos mundos - zwischen zwei Welten!

Dienstag, 28. Juni 2011

Zähneputzen im Comedor - Das Projekt kann beginnen!!

Gestern war für mich ein ganz besonderer Tag.
Gestern begannen wir zum ersten Mal mit dem Zähneputzen im Comedor - ein Projekt, das ich nun schon seit langer Zeit plane, um das ich nun schon seit langer Zeit bange und das ich beinahe aufgegeben hätte.

Dass Entwicklungszusammenarbeit schwieriger ist als gedacht, habe ich in den letzten Wochen herausgefunden. Alle waren begeistert von der Idee eines Zahnputz-Projektes, aber irgendwie kam die Sache trotz großer Motivation einfach nicht voran.
Ich habe dabei einen großen Kulturunterschied festgestellt, vor allem was Verlässlichkeit angeht..
Die Mütter hatten mir versichert eine Sickergrube für das Abwasser zu graben.
Doch schon nach zwei Tagen kamen die Frauen nicht mehr und so ist die Grube bis heute nicht mehr als einen halben Meter tief. Ich hab mir die Haare gerauft.
Also wurde erneut organisiert, es wurden erneut Listen geschrieben - doch wieder erfolglos.
Letzte Woche redete ich dann noch einmal mit meiner Chefin Deisi und als sie merkte, wie wichtig mir das Projekt ist, gab sie nach.
"Dann werden wir das Projekt eben ohne Sickergrube beginnen und das Abwasser erst einmal wie gewohnt auf die Straße kippen!"
Ich konnte es nicht fassen: Genau das war doch schon vor Ewigkeiten mein Vorschlag gewesen!!

Aber nun hatte ich die Zustimmung und so konnte es losgehen.
Ich habe also viele bunte Zahnputzbecher in den Farben der Gruppentische im Comedor gekauft und ein großes Plakat mit der richtigen Anweisung zum Zähneputzen gemalt.
Zusammen mit Sarah habe ich dann gestern 95 Kindern erklärt, wie man seine Zähne richtig putzt. Und entgegen meiner Befürchtungen, waren die Kinder total begeistert von dem neuen Projekt. Es scheint ihnen sogar richtig Spaß gemacht zu haben, denn nach dem Putzen fuhren sie sich verwundert mit ihren Fingern über die nun sauberen Zähne und strahlten uns an.
Ich bin wahnsinnig glücklich und auch ein bisschen stolz, dass das Projekt nun endlich beginnen konnte und blicke mit großem Optimismus in die Zukunft unseres Comedors.







Dienstag, 21. Juni 2011

Día alemán



Eine Deutschlandfahne in der Schule von La Mansión, Fotos von Schnee, den Alpen und der Nordsee im Klassenzimmer und eine Lehrerin, die die deutsche Nationalhymne singt?
Was kann es nur damit auf sich haben?

Ganz klar: Der día alemán natürlich!
Ich habe diesen Montag und Dienstag jeweils einen deutschen Tag eingeführt und statt Englischunterricht den Kindern etwas über Deutschland erzählt.
Der Sinn dahinter war, dass ich den Kindern endlich meine Heimat näher bringen und ihnen das Projekt mit der Partnerschule in Langenau erklären wollte.

Schon bei der ersten Frage musste ich schmunzeln. Als ich den Kindern erzählte, dass Deutschland sehr weit weg ist, fragten sie zum Beispiel:
"Weiter als Lima? Noch weiter als Chile? Waaaas, hinter dem Ozean???"

Ich zeigte ihnen Fotos vom Schwarzwald, vom Bodensee und den Alpen, von der Nordsee, von unseren Schlössern, von Berlin und anderen deutschen Städten. Große Begeisterung lösten vor allem die Bilder von Schneelandschaften aus und die Kleinen konnten es kaum fassen, dass wir weiße Weihnachten bei Minustemperaturen feiern, während sie am selben Tag schon im Schatten schwitzen.

Ich erzählte ihnen etwas über deutsches Essen("Was? Ihr esst keine Meerschweinchen?"), erklärte ihnen einige Worte auf deutsch, zeigte ihnen unsere Flagge und sang ihnen die Nationalhymne vor.

Danach gab es eine große Fragerunde. "Sind in Deutschland alle blond?", "Bist du mit dem Boot nach Peru gekommen?", "Sind in Deutschland alle Millionäre?".
Ich musste oft lachen und ihnen erklären, warum es weder Lamas noch Affen in Deutschland gibt und warum wir auch keine Vulkane haben.

Auch die Schulpartnerschaft mit meiner Schule, dem Robert-Bosch Gynasium in Langenau, interessierte sie sehr.
"Wir haben wirklich Freunde am anderen Ende der Welt? Wie schöööööön!!!"
Die große Überraschung kam dann aber am Schluss.
Das Robert-Bosch Gymnasium hat mir für alle Schüler Armbänder in Deutschlandfarben geschickt. Diese teilte ich am Ende des Unterrichtes aus und die Kleinen freuten sich natürlich riesig über dieses Geschenk.

Als Dankeschön haben wir zusammen auch etwas für die Partnerschule vorbereitet.
Wir haben viele Bilder für die Schüler in Deutschland gemalt und ihnen Briefe geschrieben.

Einige Ausschnitte davon, will ich euch hier zeigen:

"Hallo meine Freunde aus Deutschland. Euer Land ist sehr schön. Das schönste Land der Welt wahrscheinlich. Ich hoffe ich kann euch einmal besuchen und den weißen Schnee sehen..."
(Nataly, 10 Jahre)

"Hallo. Ich male euch ein Bild von einem Tier, das ihr nicht kennt. Das Tier ist ein Vogel und heißt Kolibri und meine Lehrerin Judith hat gesagt, dass es bei euch keine Kolibris gibt. Das ist schade. Ich schicke euch viel Liebe aus Peru, euer Freund Yeyson" (Yeyson, 9 Jahre)

"...ich will euch sagen, dass ihr immer in meinem Herzen sein werdet, meine lieben Freunde aus Deutschland. Ich will auch einmal nach Deutschland aber ich muss euch etwas sagen. Deutschland ist sehr weit weg.
Ihr seid aber immer herzlich willkommen in Arequipa und könnt mich besuchen kommen. Wir empfangen euch mit offenen Armen, liebe Freunde.
Danke für alles."
(Leydi, 11 Jahre)






Dienstag, 7. Juni 2011

Ollanta Humala gewinnt Präsidentenwahlen in Perú

Das Top-Gesprächsthema der letzten Monate war hier in Perú eindeutig die Präsidentenwahl.
An jeder Straßenecke hingen Wahlplakate, an den Wänden standen in großen Buchstaben die Namen der Kandidaten und ständig fuhren Autos mit Wahlwerbung durch die Stadt.
In Perú herrscht Wahlpflicht, ein Fünftel der Peruaner lebt in extremer Armut und die Hälfte in Armut.
Diese Mischung veranlasst Politiker dazu, mit allen Mitteln die Gunst dieser Menschen zu erwerben.
Es werden die größten Versprechungen gemacht, Reis in Armenvierteln ausgeteilt, Wasser-und Stromleitungen gelegt und in meiner Schule in La Mansión bekamen die Kinder Schulhefte mit dem Gesicht Keiko Fujimoris geschenkt.
Eine Tatsache, die mich einfach unglaublich wütend macht.
Denn eigentlich weiß jeder: Sobald der vorher noch so bemühte Politiker an die Macht kommt, interessiert er sich kaum noch für die Armen.

Fünf Kandidaten standen bis April zur Auswahl. Vergangenen Sonntag kam es dann zur Stichwahl zwischen dem Linkspopulisten Ollanta Humalla und der konservativen Keiko Fujimori.
Ollanta Humalla konnte die Wahl mit rund 51% der Stimmen knapp für sich entscheiden.

Die Stimmung im Land ist verständlicherweise total gespalten.

Der Name Fujimori ist bekannt. Keiko ist die Tochter des peruanischen Ex-Dikators Alberto Fujimori, der nach seiner Amtszeit wegen zahlreichen Verbrechen (darunter Korruption und zahlreichen Menschenrechtsverletzungen) zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde.
In Interviews bestätigte Keiko aber immer wieder, das Vergangene nicht wiederholen, sondern Peru zu einer besseren Zukunft verhelfen zu wollen.
Die Ziele der Partei Fuerza 2011 waren die Verbesserung der Bildung, ein Zusatzgeld für existenziell Arme, ein Gratisfrühstück für alle Schulen, die Verbesserung des Verkehrsnetzes und mehr Tourismus.
Natürlich wurde aber auch darüber gemunkelt, dass Keikos Hauptziel darin bestehe, ihren Vater aus dem Gefängnis zu holen.

Aber wie schon gesagt, knapp gewonnen hat der frühere Militär Ollanta Humala, der der Partei Gana Perú angehört und nun für die nächsten 5 Jahre das Land regieren wird.
Sein Wahlspruch "por el gran cambio - für die große Veränderung" scheint die Mehrheit der Peruaner überzeugt zu haben.
Die Ziele dieser Veränderung sind antiimperialistisch, nationalistisch und militärisch ausgerichtet.
Es ist davon auszugehen, dass Humala die Sozialausgaben in Peru massiv erhöhen wird. Ähnlich wie in anderen lateinamerikanischen Ländern geschehen, hat er angekündigt, die direkte Unterstützung Bedürftiger mit Regierungsgeldern stark auszubauen.
Direkte (auch finanzielle?) Unterstützer Humalas sind der Präsident Venezuelas Hugo Chavez und der brasilianische Ex-Präsident Lula da Silva.
Stimmen der Bevölkerung fürchten nun, dass "el gran cambio" zu radikal aussehen könnte und Humala ein "zweites Kuba" errichten wird.

Die Peruaner haben sich also zwischen den "zwei Übeln" einer möglichen Rückkehr der Vergangenheit unter Fujimori und einer ungewissen Zukunft mit Humala für das zweite entschieden.

Montag, 6. Juni 2011

Profesora Judith - mein Alltag als Lehrerin

Nun bin ich schon seit 10 Monaten in Perú.
10 Monate sind vergangen seit meinem ersten Tag als Lehrerin in der Schule von La Mansión.
Vieles hat sich verändert.
Vieles ist gleich geblieben.

Wenn ich heute in die Schule komme, werde ich von meinen Kleinen schon wie selbstverständlich mit "Good morning" begrüßt und "Goodbye" verabschiedet.
Die Schüler wissen, was es bedeutet, wenn ich meinen Zeigefinger an den Mund halte und bis drei zähle: "Uno, dos, tres-silencio!" und die Kinder sind ruhig.
Sie wissen auch, dass ich ihnen nur eine Sonne, einen Schmetterling oder einen Clown mit den Worten "muy bien-very good" in ihre Hefte male, wenn sie alles schön abgeschrieben und ausgemalt haben.
Und die Schüler haben wirklich etwas gelernt. Auf Englisch können sie nun ihren Namen und Herkunft sagen, sie wissen die Zahlen, Farben, das Alphabet, Tiere, Famlienmitglieder, Körperteile und singen verschiedene Lieder.
Ja, ich bin stolz auf meine Schüler!

Und trotzdem war und ist der Alltag als Lehrerin für mich anstrengender als gedacht und leider oft auch sehr unbefriedigend.
Ein Grund dafür ist die schlechte Konzentrationsfähigkeit und Disziplin der Kinder.
Ich versuche mit allen Mitteln den Schülern die Vokabeln beizubringen: Wir schreiben ab, malen, singen und machen Wettbewerbe und trotzdem bleibt nur die Hälfte des Gelernten bei ihnen hängen.
Der frustrierendste Moment für mich war eindeutig unser Wiedersehen nach zwei Monaten Ferien: Die Kindr hatten ohne Übertreibung wirklich fast alles vergessen und wir mussten noch einmal bei null anfangen.

Ein weiteres Problem ist für mich leider nach wie vor die laue Unterstützung der anderen Lehrer. Der Rektor scheint hauptsächlich an Geld interessiert zu sein ("Judith, kannst du nicht Englischbücher für alle Schüler kaufen? Judith, kannst du den Schulausflug der Kinder zahlen?")
Und die Lehrer, von denen selbst nur zwei Englisch sprechen, scheinen mich nach wie vor nicht wirklich ernst zu nehmen.
Dies liegt vielleicht auch an unseren unterschiedlichen Unterrichtsmethoden.
Vor kurzem spielte ich mit den Kindern ein Spiel, bei dem sie im Klassenzimmer umherrennen und bunte Dinge suchen mussten. Der Sinn bestand darin, mir die Farben auf Englisch zu erklären.
Nicht nur die Kinder, sondern auch ich hatte meinen Spaß und wir lachten viel.
Doch dann kam auf einmal die Klassenlehrerin herein und schimpfte: "Was ist denn hier los? Setzt euch sofort hin, wir sind doch nicht im Zirkus!"
Ich erklärte ihr die Situation und spiele auch nach wie vor viel mit den Kindern.
Frustrierend war die Situation aber trotzdem.

Wie könnte also mein Fazit nach dieser Zeit als Lehrerin in La Mansión lauten?
Ganz klar: Die Freuden meines Arbeitsalltags bestehen aus den kleinen Dingen.
Ich freue mich, wenn der sonst so unkonzentrierte Carlos auf einmal total bemüht meinen Tafelaufschrieb abschreibt und mit bunten Farben verziert.
Es macht Spaß mit den Kindern lauthals "head, shoulders, knees and toes" zu singen und zu sehen, wie sie dazu tanzen und lachen.
Und es ist einfach total schön nach der Schule die Kinder im Comedor stolz über meinen Unterricht reden zu hören: "Hoy aprendemos los animales - Heute haben wir die Tiere gelernt!" oder "Profesora Judith, que vamos a aprender la semana que viene? - Was werden wir nächste Woche lernen?"








Montag, 30. Mai 2011

Qué sorpresa - Was für eine Überraschung!!

Heute war für mich ein ganz besonderer Tag als Lehrerin: Meine Schüler haben irgendwie herausgefunden, dass ich Geburtstag hatte und mir tatsächlich eine Geburtstagsüberraschung vorbereitet.

Als ich morgens das Klassenzimmer betrat schallte mir ein lautes
"Cumpleaños feliz - alles Gute zum Geburtstag!" entgegen und ich wurde mit Konfetti aus buntem Tonpapier und Zeitungsschnipseln beworfen.
Danach bekam ich einen Partyhut aufgesetzt und die Schüler sangen mir das "Happy Birthday", das ich ihnen beigebracht habe.
Und dann schenkten sie mir sogar noch eine selbstgebastelte Geburtstagskarte.

Ich wusste gar nicht wie mir geschieht, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und erwiderte all die Küsschen und Umarmungen.

Und die Kleinen hatten sogar ein Geburtstagsessen vorbereitet.
Trotz ihres bescheidenen Geldbeutels hatten sie Kekse, Obstsalat und eine Flasche Saft organisiert.
Ich war so gerührt, dass ich kaum den Kloß in meinem Hals hinunterschlucken konnte.

Die Geburtstagsüberraschung war für mich sicherlich einer der schönsten Augenblicke bei meiner Arbeit als Lehrerin in La Mansión und ich werde diesen besonderen Tag wohl nie vergessen.

Sonntag, 29. Mai 2011

Mein Geburtstag in Peru

Am 20. Mai habe ich meinen 20. Geburtstag gefeiert - was für ein Tag!
Schon morgens ging der Tag mit Überraschungen los: Meine Mutter hatte tatsächlich daran gedacht, eine Geburtstagsgirlande für mich zu basteln als sie hier war.
Diese hatte Sarah bis zu meinem großen Tag vor mir versteckt und dann in der Wohnung aufgehängt. Ich war sprachlos.
Außerdem stand da ein Geburtstagstisch mit vielen kleinen liebevollen Geschenken. Darunter auch: MÜSLI!!! Danke Mama, du bist die Beste!!

Abends kamen dann meine Freundinnen zu mir, wir tranken meine selbstgemachte Bowle und die Mädels schenkten mir eine große Sahnetorte.
Traditionell peruanisch musste ich in die Torte beißen und bekam sie im selben Moment ins Gesicht geklatscht. Erst am nächsten Morgen konnte ich mir den restlichen Zuckerguss aus den Haaren waschen.
Verrückt? Ja! Aber eine Torte im Gesicht gehört zu einem peruanischen Geburtstag einfach dazu! :)

Und die Nacht war noch jung. Man wird nur einmal im Leben 20 und hat das Glück diesen Tag in Peru zu feiern. Weiter ging es natürlich mit FIESTA!
Wir waren in meiner Lieblingsdisco und tanzten bis in die frühen Morgenstunden.

Vielen vielen Dank an alle, die an diesem Tag an mich gedacht haben.
Danke für all die schönen Emails. Nächstes Jahr feiern wir wieder zusammen :)






Freitag, 27. Mai 2011

Leben in einer anderen Kultur

Leben in einer anderen Kultur ist definitiv etwas anderes als Urlaub in einer anderen Kultur zu machen.
Urlaub bedeutet irgendwie die wichtigtsten Sehenswürdigkeiten des Landes zu besuchen, viele viele Fotos zu machen, mit Glück ein bisschen in Kontakt mit Einheimischen zu kommen und nach wenigen Wochen wieder zurückzufahren.
Leben in einer anderen Kultur bedeutet aber eben schlichtweg:
Den Alltag der Menschen mitzuerleben mit allem Drum und Dran.

Fast 10 Monate bin ich nun schon in Peru. 10 Monate in denen ich mich hier so gut eingelebt habe, dass mir Deutschland oft ganz weit weg vorkommt.
Während der Anfangszeit hier war ich noch total auf das Urlaubsgefühl eingestimmt: Alles war so neu und aufregend und faszinierend und von allem wurden Fotos gemacht.
Bei unserem Vorbereitungsseminar meinte ein Leiter einmal scherzhaft: "Die Anfangszeit des längeren Auslandsaufenthaltes kann man mit den Flitterwochen vergleichen. Das ist die Zeit, in der man die nervige Fliege zuerst noch fotografiert bevor man sie totschlägt."
Er hat es auf den Punkt getroffen.
Dieses Urlaubsgefühl ist aber schon lange verschwunden.
Für mich ist hier in Peru eben der Alltag eingekehrt - das Land ist voll und ganz zu meiner zweiten Heimat geworden.
Und Dinge, die anfangs noch als anders empfunden wurden, sind völlig normal geworden.

...so zum Beispiel die vielen Straßenhunde, die hier entweder faul an den Straßenecken herumliegen oder dich agressiv vom Dach der Häuser anbellen.
(Ja, die Wachhunde bewachen die Häuser hier von oben).
...oder der Anblick der vielen Stromkabel zwischen den Häusern und Straßen.
Der reinste Kabelsalat!
...oder der Müll! Die Mülltüten werden hier einfach an den Straßenecken abgelegt und stauen sich zu großen Haufen an, bis sie vom Müllwagen abgeholt werden. Davor fallen sie aber meist den Straßenhunden zum Opfer und der Inhalt ist dann über die halbe Straße verteilt.
...oder die vielen traditionell gekleideten Menschen, die einfach so anders aussehen als in Europa. Die Frauen mit ihren weiten bunten Röcken, mit ihren zwei langen schwarzen Zöpfen und ihren Tragetüchern auf dem Rücken.
...die vielen kleinen Tiendas hier. Im Gegensatz zu Deutschland wird hier überwiegend auf dem Markt oder in diesen Tiendas eingekauft, die man mit Tante-Emma-Läden gleichsetzen kann und in denen man von Getränken, Keksen, Batterien, Klopapier und Zahnbürsten einfach alls kaufen kann.
...oder das System der öffentlichen Verkehrsmittel. Hier hat kaum jemand ein eigenes Auto. Die Menschen fahren Bus oder Taxi. Allerdings gibt es kein Busfahrplan und in der Tür steht immer eine Person, die laut die Fahrtziele ausruft: "Hospital, San Camilo, Goyeneche, Hospitaaaaal!"
Vor den Taxifahrten in den kleinen gelben Autos verhandelt man mit dem Fahrer um den Preis. Eine Fahrt von 15 Minuten kostet ungefähr drei Soles, nicht einmal ein Euro.
Ach ja, und man schnallt sich nicht an. Die Mehrheit der Autos hier hat keine Anschnallgürte oder diese sind kaputt.
...oder die Tatsache, dass es immer wieder einmal Wasserausfall gibt. Wegen Wasserknappheit oder Bauarbeiten oder sonstigen Gründen.
...oder die Musik an jeder Straßenecke, in jedem Geschäft und in jedem Bus und jedem Taxi.
...oder die Begrüßung,die aus einem Küsschen auf die linke Wange besteht.
...oder der Glaube an Naturgötter und Heilpflanzen, der sich in den vielen kleinen Läden widerspiegelt, in denen man Heilsäfte und -kräuter und Glücksbringer kaufen kann.
...oder die vielen Essenstände auf offener Straße, die Fleischspieße, salziges Popcorn, Eis, Empanadas oder Milchreis verkaufen.

Ach, ihr könnt es euch schon denken: Die Liste könnte ewig so fortgesetzt werden.
Was ich damit auszudrücken versuche, ist das Gefühl in einer so fremden Kultur zu leben und alles als normal betrachten zu können.

Hinzu kommt natürlich, dass ich in Arequipa einfach auch den Alltag lebe. Ich gehe morgens zum Arbeiten, treffe mich mittags mit Freunden und dreimal in der Woche geht es abends zum Salsa-Unterricht.
Ich weiß mittlerweile wo es die beste Chicha Morada(peruanisches Erfrischungsgetränk) und die besten Empanadas gibt, wo ich meine Schuhe zum reparieren bringen kann und wo es billiges Obst und Gemüse zu kaufen gibt.

Der Kulturschock wird mich wohl dann in Deutschland überkommen.
10 Monate ohne Fernseher, Spül- oder Waschmaschine, ohne die deutsche Pünktlichkeit und ohne Busfahrplan haben mich mittlerweile doch sehr geprägt.

Montag, 23. Mai 2011

Zahnbürsten für Peru

Schon vor langer Zeit hatte ich die Idee in unserem Comedor ein Zahnputz-Projekt einzuführen.
In Armenvierteln wie La Mansión fehlt einfach jegliche Aufklärung über Zahnhygiene.
Mindestens neunzig Prozent der Menschen besitzen weder Zahnbürsten, noch Zahnpasta und putzen sich wirklich nie die Zähne. Und das sieht man ihnen an!
Schon die Kinder haben reihenweise schwarze Zähne und nicht selten können meine Schützlinge das Essen nicht kauen, weil sie so starke Zahnschmerzen haben.
Ganz klar: Das muss geändert werden!

Mit der Hilfe meiner Mutter startete ich deshalb eine Zahnbürsten-Sammelaktion in Deutschland.
Die Spenden stellen zum einen eine finanzielle Erleichterung dar, haben aber vor allem symbolischen Charakter. Zahnpasta und die Zahnputzbecher werden in Peru gekauft.
Das Robert-Bosch-Gymnasium in Langenau war als Partnerschule von La Mansión sofort mit Begeisterung dabei und hat viele Zahnbürsten gespendet. Aber auch Freunde, Arbeitskollegen und Nachbarn haben uns sehr geholfen und fleißig Zahnbürsten bei meiner Mama abgeliefert.
Und so kam schließlich die Summe von rund 200 Zahnbürsten zusammen, die meine Mutter mit im Gepäck hatte, als sie mich in Peru besuchte.
Das Zähneputzen kann also losgehen!!
An dieser Stelle gilt ein riesengroßes Dankeschön an alle Spender.
MUCHAS GRACIAS POR SU AYUDA - VIELEN DANK FÜR EURE HILFE!

Trotzdem stellte sich der Beginn des Projektes dann doch schwieriger heraus als gedacht.
Zahnbürsten und die Motivation waren da um sofort zu beginnen.
Doch es gab eine große Frage: Wohin mit dem Abwasser?
Da es in La Mansión kein Abwassersystem gibt, standen wir auf einmal vor einem Problem. Wir konnten aus hygienischen Gründen das Wasser ja nicht einfach auf die Straße schütten-da hätten sich alle Nachbarn des Comedors beschwert.
Doch da das Gebäude schon einen fertigen Zementboden hat, kam auch die Installierung von einem Bad aus technischen und finanziellen Gründen nicht in Frage.
Schon fast hatte ich Angst, dass das Projekt an dieser kleinen Sache scheitern würde.

Letzten Mittwoch hatten wir dann aber ein großes Treffen mit allen Müttern.
Unter anderem besprachen wir dort unsere Idee und ich erklärte die Wichtigkeit des Projektes und fragte die Mütter um Rat.
Und da wurde ich überrascht von der sofortigen Begeisterung und Motivation der Mütter.
Die Lösung für unser Problem war schnell gefunden. "Wir graben vor dem Comedor einfach ein tiefes Loch und machen eine Sickergrube!" waren sich die Mütter einig und trugen sich in eine Liste für die Arbeitsteilung ein.
Ab heute kommen nun sieben Tage lang immer vier Mütter zum Ausheben der Sickergrube, damit ihre Kinder das Zähneputzen beigebracht bekommen.

Wow-ich bin sprachlos und glücklich über solch eine tolle Zusammenarbeit.

Über Neuigkeiten des Projektes halte ich euch natürlich auf dem Laufenden!

Samstag, 14. Mai 2011

PUNO und TITICACASEE

Nach der tollen Reise im Norden Perus ging es wieder zurück in den Süden des Landes. Insgesamt 53 Stunden Busfahrt!
Doch dafür erwartete uns ein weiteres Peru-Highlight: Ich konnte meine Mama schließlich unmöglich gehen lassen, ohne ihr den bekannten Titicacasee gezeigt zu haben.
Auch wenn ich nun schon das dritte Mal in Puno war, war es doch erneut ein sehr schönes Erlebnis.
Wir haben uns die Stadt angeschaut, sind durch die Märkte geschlendert und haben die schwimmenden Inseln der Uros besucht.
Und auch wenn diese weltbekannten Inseln auf erschreckende Weise kommerzialisiert werden, gibt es doch nirgends nur annähernd vergleichbares!
Die schwimmenden Inseln bestehen nur aus Totora-Schilf, das immer wieder übereinander geschichtet wird. Bis heute leben noch Menschen auf den Inseln.
Das Leben der Uros dreht sich nur um das Schilf. Zum Bau der Inseln, Boote und Häuser wird ausschließlich diese Pflanze verwendet.
Und wie könnte es anders sein: Die Inselbewohner ernähren sich sogar von Schilf!
Auch ich durfte es probieren. Es schmeckt sehr neutral und die Konsistenz ist schwammartig.
Das Blau des Titicacasees, das helle Braun des getrockneten Schilfes und die bunten Kleider der Uro-Bewohner sind in ihrer Kombination somit nicht nur ein wunderschönes und attraktives Fotomotiv, sondern vor allem ein interessantes und faszinierendes Erlebnis.