Samstag, 6. August 2011

Zurück in Deutschland...



Nach einem sehr chaotischen und aufgrund kurzer Umsteigezeiten auch stressigen Rückflug von Arequipa über Lima nach Amsterdam und dann nach Stuttgart, bin ich seit Mittwochabend wieder in Deutschland.

Das Wiedersehen mit meiner Familie und meinen Freunden war unbeschreiblich schön.
Sie haben sich solche Mühe gegeben, mir einen tollen Empfang zu bereiten - Willkommensplakate und Blumensträuße inklusive.
Seitdem genieße ich wieder Brezeln zum Frühstück, einen immer vollen Kühlschrank und eine warme Dusche. Mein kleiner Bruder ist auf einmal unglaublich groß geworden und alle haben wir uns sehr viel zu erzählen.
Es ist schön, wieder nach Hause zu kommen.

Doch Zuhause - was ist das denn jetzt genau für mich?
Ich bin sozusagen von dem einen Zuhause herausgerissen und in das andere Zuhause hineingeschmissen worden. Einfach so. Von einem Tag auf den anderen.
..und so fühle ich mich gerade manchmal ein bisschen wie eine Touristin in meinem eigenen Land.
Ich bestaune die grüne Landschaft und die sauberen Autos, die großen Häuser und die geraden Straßen. Mir fällt auf, dass es hier ganz anders riecht:
Nach feuchtem Gras und nach Blumen anstatt nach Staub und Benzin.
Die Menschen sind alle wahnsinnig modisch gekleidet und es ist so ruhig.
Es ist wirklich auffallend ruhig. Auch an Plätzen mit vielen Menschen.
Ach, mir fehlt meine Salsa-Musik!!

Auch ist es seltsam wieder so viel blonde Menschen zu sehen und deutsch zu reden.
Ich sage "Gracias" und "Permiso" anstatt "Danke" und "Verzeihung".
Als wir essen gehen bestelle ich ohne zu überlegen einen Maracujasaft und vergesse mich bei der Heimfahrt im Auto anzuschnallen.

Ich bin eideutig nicht mehr in Peru...aber irgendwie bin ich auch noch nicht wirklich in Deutschland angekommen.

Adiós Perú - Auf Immerwiedersehen!

Wie soll ich nur das Gefühl erklären, dass einen überkommt, wenn man seine Wohnung, in der man fast 365 Tage gewohnt hat, auf einmal ausräumen und verlassen muss?
Wenn man all das, was sich in einem Jahr so angesammelt hat, in einen großen Rucksack packen soll?
Oder noch viel schlimmer: Wenn man sich von Freunden auf ungewisse Zeit verabschieden soll, die einen ein ganzes Jahr lang begleitet haben und die einem sehr ans Herz gewachsen sind?
Es ist einfach unrealistisch. Es ist unrealistisch und es bereitet einem ein sehr laues Gefühl im Bauch.

Die letzten Tage in Peru verbrachte ich mit Rucksack packen, Souvenirs einkaufen, Wohnung ausräumen und vielen vielen Abschieden.
Neben dem Abschied von meiner Arbeitsstelle standen schließlich auch noch viele Abschiede von Freunden an.
Am letzten Samstag vor unserem Rückflug wurde für mich eine große Abschiedsparty in meiner Lieblinsdisco veranstaltet.
Dort tanzten wir die Nacht durch und versprachen uns, uns wiederzusehen.
Zur Erinnerung bekam ich eine große Peruflagge, auf der all meine Freunde unterschrieben haben, und ein Fotoalbum mit vielen Erinnerungsfotos geschenkt.
Es war sehr bewegend und hat mir fast das Herz gebrochen.

Peru ist für mich in diesem Jahr zu meiner zweiten Heimat geworden, der ich vieles verdanke. In diesem Jahr habe ich ein großes Stück Lebenserfahrung gewonnen, ich habe in Peru sehr viel gelacht und getanzt, habe aber auch geweint und habe meine Grenzen kennengelernt.
Ich habe Einblick bekommen in eine völlig fremde Kultur, die ich schätzen und lieben gelernt habe.

GRACIAS an alle, die mich in diesem Jahr begleitet haben und die es zu dem gemacht haben, was es ist: Eine unvergessliche Zeit!

El tiempo pasa - pero los recuerdos se quedan para siempre.
Die Zeit vergeht - doch die Erinnerungen bleiben für immer.

Abschied vom Comedor

Ich wusste, dass der Abschied vom Comedor, von all meinen Kindern und den Müttern schwierig werden wird. Und doch hätte ich nicht damit gerechnet, dass so viele Tränen fließen werden.
Ich habe mich ein bisschen wie ein Mutter gefühlt, die ihrem Baby "Tschüss" sagen muss.

Die Mütter haben zur Feier des Tages eines unserer Lieblingsessen, "Papa a la Huancaina", gekocht und nach dem Mittagessen haben wir uns alle im Kreis versammelt.
Sarah und ich haben den Kindern erklärt, dass es nach einem Jahr nun Zeit für unseren Abschied ist, da wir zurück in unsere Heimat müssen um zu studieren.
Wir bedankten uns für die tolle Zeit mit allen und sagten, dass wir sehr stolz darauf sind, so viele neue kleine Freunde gefunden zu haben.
Dann ermahnten wir sie, dass sie sich auch ohne uns weiterhin gut verhalten und brav sein sollen.
Und anschließend stellten wir ihnen die neuen Freiwilligen vor, Carolin und Sabrina, die vor wenigen Tagen in Arequipa angekommen sind.
In diesem Moment begleitete mich ein gemischtes Gefühl aus Melancholie und Stolz.
Für uns ist nun endgültig dieses wundervolle und eindrückliche Jahr in La Mansión vorbei, doch das Projekt geht weiter.
Es ist wirklich schön zu wissen, dass die beiden Mädels das weiterführen, was wir angefangen haben und ich bin sicher, dass sie es super meistern werden!

Sarah und ich haben eine große Collage mit vielen Erinnerungsfotos als Verschönerung der grauen Wände im Comedor gebastelt.
Außerdem haben wir eine Erinnerungslilie gepflanzt, damit sich die Kinder und Mütter auch immer an uns erinnern werden.
Zum Schluss bekam jeder eine kleine Kerze geschenkt, die wir gemeinsam anzündeten.
Beim Auspusten sollte sich dann jeder etwas wünschen.
So erhellten viele kleine Kerzenlichter und viele kleine Wünsche den Comedor für ein paar Minuten. Es war wirklich schön.

Danach gab es viele Umarmungen, ich bekam verschiedene selbstgemalte Bilder der Kinder geschenkt und schüchterne, liebevolle "Gracias señorita Judith" und "Cuidate señorita Judith" ins Ohr geflüstert.

Als sich dann der ganze Tumult aufgelöst hatte und die letzten Kinder gegangen waren, haben wir uns von den Müttern verabschiedet.
Und da standen die Frauen, die uns vor einem Jahr noch total schüchtern und unsicher begrüßt hatten, vor uns und schwangen Abschiedsreden und umarmten uns.
Und sie hatten uns eine Dankeskarte geschrieben "Para alguien muy especial - Für jemanden sehr besonderes". Es war so rührend.
Doch das Geschenk, das ich am wenigsten erwartet hätte und das mich am meisten berührt hat, kam von einer der Mütter: Dominga.
Dominga war die Mutter, mit der ich mich das ganze Jahr über am besten verstanden habe. Immer wenn wir uns gesehen haben, haben wir ein paar Sätze miteinander gesprochen, ich habe ihren Kindern Englischunterricht gegeben und auf ihr Baby Deisi aufgepasst, wenn Dominga Wasser holen war.
Jedenfalls kam Domingo an diesem Tag auf mich zu und drückte mir ganz schüchtern ein winziges Geschenkchen in die Hand.

Als ich es öffnete fielen mir Ohrringe und ein kleiner Zettel entgegen:
"Señorita Judith. Ich danke dir für all die Hilfe, die du uns und unseren Kindern gegeben hast. Erhalte deshalb mit viel Liebe dieses kleine Geschenk. Vergiss uns nie. Wir werden dich immer vermissen. Tschüss, Dominga"

Ich war so gerührt, mit wie viel Liebe sich die Menschen aus La Mansión von uns verabschiedeten.
Und so wurde der Kloß im Hals immer größer und zum Schluss weinten wir alle zusammen.

Als ich dann im Combi nach Hause fuhr, zogen noch einmal alle Erinnerungen und gemeinsamen Erlebnisse vor meinem inneren Auge vorbei:
Der erste Arbeitstag, die Veränderung des Comedors durch die bunten Tische, die Verhaltensregeln, die wir gemeinsam aufstellten, die Weihnachtsfeier mit dem Puppenspiel von Sarah und mir, Elternabende mit den Müttern, das Zahnputzprojekt, ...

Ja, es war eine tolle Zeit in La Mansión. Oft war es anstrengend oder frustrierend, doch die meiste Zeit hat es mir wahnsinnig Spaß gemacht dort zu arbeiten.
Wir haben viel gemeinsam erreicht und sind gemeinsam gewachsen.
Ich freue mich sehr, dass das Projekt weiter geführt wird und habe mir fest vorgenommen eines Tages zurückzukommen.